Neue EuroTrak-Studie zeigt Möglichkeiten zur Verbesserung der Hörversorgung in Deutschland auf

Ganze 59 % aller Hörgerätenutzer sind davon überzeugt, dass sie schon früher mit der Behandlung ihres Hörverlustes begonnen haben sollten. Dies ist ein zentrales Ergebnis der neuesten EuroTrak-Studie zur Hörversorgung in Deutschland, die am 01. Juni zum ersten Mal im Rahmen einer durch die Initiative Hörgesundheit veranstalteten Online-Paneldebatte der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Initiative Hörgesundheit ist eine Interessengruppe für Mitglieder des Hörgesundheitssektors in Deutschland. Die Studie ist die neueste EuroTrak-Umfrage, die im Auftrag der Europäischen Vereinigung der Hörgerätehersteller (auf Englisch: European Hearing Instrument Manufacturers Association und kurz EHIMA) und des Bundesverbands der Hörgeräteindustrie (BVHI) durchgeführt wurde.
Die EuroTrak-Umfragenreihe wurde erstmals im Jahre 2009 mit dem Ziel, in der Öffentlichkeit auf die wichtigsten Herausforderungen bei Schwerhörigkeit und den Wert von Hörgesundheit aufmerksam zu machen, durchgeführt. Bis zum heutigen Tage wurde die Umfrage in insgesamt 16 Ländern durchgeführt. Die Gesamtzahl der Teilnehmer betrug 630.000. EuroTrak ist als eine Online-Panelstudie konzipiert, die auf Selbstberichten der Versuchsteilnehmer beruht. Die letzte EuroTrak-Umfrage zur Lage in Deutschland wurde im Jahre 2018 veröffentlicht.
Um die Umfrage zum Thema Hören allen Vertretern der Interessengruppe Hörgesundheit zugänglich zu machen, haben sich der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB), die Europäische Union der Hörgeräteakustiker (EUHA), der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (BVHNO) und der Bundesverband der Hörgeräteindustrie (BVHI) zusammengeschlossen und gemeinsam die Initiative Hörgesundheit gegründet. Eines der Hauptanliegen der Initiative ist, regelmäßige, durch die gesetzlichen deutschen Krankenkassen finanzierte Gehöruntersuchungen für Personen ab einem Alter von 50 Jahren zu ermöglichen.
Nicht jeder, der vermutet schwerhörig zu sein, lässt sich von einem Facharzt untersuchen
In Deutschland betrachten rund 9,24 Millionen Menschen ihr Gehör als beeinträchtigt, was rund 11,1 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Die meisten Betroffenen, ungefähr 9,03 Millionen Personen, sind Erwachsene. Ab einem Alter von 50 Jahren steigt die Häufigkeit der selbstberichteten Hörminderungen deutlich an. Während 6,8 % der 45-54-Jährigen sich selbst als schwerhörig bezeichnen, glauben ganze 12,5 % der 55-64-Jährigen, schwerhörig zu sein. Bei den 65-74-Jährigen betrachtet sich jeder Fünfte als schwerhörig (20,2 %). Ab dem Alter von 74 Jahren berichtet schon jeder Dritte von Hörproblemen, was insgesamt 35,5 % entspricht.
Nicht alle, die sich selbst als schwerhörig bezeichnen, lassen ihr Gehör auch von einem Arzt untersuchen, denn von den insgesamt 9,24 Millionen konsultieren nur 7,48 Millionen Betroffene einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder ihren Hausarzt. Dies bedeutet, dass bei 19 % der Betroffenen oder insgesamt 1,75 Millionen keine medizinische Diagnose gestellt wird.
Nach der Untersuchung durch den Fach- oder Hausarzt erhalten 5,36 Millionen Betroffene eine positive Diagnose: Ein behandlungsbedürftiger Hörverlust liegt vor. Schlussendlich erhalten jedoch nur 3,8 Millionen Betroffene Hörgeräte. Dies entspricht nur 41,1 % der Deutschen, die sich als schwerhörig einschätzen.
Dass eine so große Anzahl von Menschen mit dem Gefühl, schwerhörig zu sein leben und trotzdem keine medizinische Hilfe suchen, zeigt, dass es weiterhin notwendig ist, über die Risiken von unbehandelter Schwerhörigkeit aufzuklären. Jedoch zeigt die Umfrage auch, dass sich eine Sensibilität gegenüber den vielen Vorteilen von Hörgesundheit herausbildet: Die Deckungsrate unter Personen mit einem selbstberichteten Hörverlust stieg von 2019 bis 2022 von 31,8 % auf 41,1 % an, was im Jahre 2022 ungefähr 4,6 % der gesamten Bevölkerung Deutschlands entspricht. Im Vergleich zur ersten Umfrage, die im Jahre 2009 (4,2 %) durchgeführt wurde, ist die Anzahl der Hörgerätenutzer um 10 % angestiegen.
Hörsysteme werden durchschnittlich 8,9 Stunden am Tag getragen
Von dem Zeitpunkt, zu dem die Betroffenen ihren Hörverlust bemerken bis zur Anpassung ihrer Hörgeräte verstreichen in der Regel drei Jahre. Die durchschnittliche Produkthaltbarkeit von Hörgeräten beträgt ungefähr sechs Jahre, wobei die Deutschen in puncto Nutzungsdauer im Ländervergleich leicht über dem Durchschnitt liegen.
Im Allgemeinen werden Hörgeräte um 8,9 Stunden täglich genutzt. Rund 28 % der Nutzer tragen ihre Hörgeräte sogar mehr als 12 Stunden und nur 5 % der verschriebenen Hörgeräte werden niemals getragen. Diese 5 % bestätigen den Therapieerfolg von Hörsystemen, denn im Vergleich zu den 5 % wird angenommen, dass zwischen 20 und 50 % der verschriebenen Medikamente gegen chronische Krankheiten von den Betroffenen nicht eingenommen werden. (1)
Ein Drittel der 50-60-Jährigen hat noch nie einen Hörtest gemacht
Die EuroTrak-Umfrage zeigt auch, wo ein weiterer Einsatz für ein breiteres Bewusstsein für Hörgesundheit dringend notwendig ist: Mehr als ein Drittel der Befragten (34 %) gaben an, dass ihr Gehör noch nie getestet wurde. Sogar ein Drittel der 50-60-jährigen Teilnehmer gab an, dass sie noch nie einen Hörtest gemacht haben. Der springende Punkt ist, dass ein altersbedingter Hörverlust früh entdeckt und behandelt werden muss, damit weitere, mit der Hörminderung verbundene Gesundheitsrisiken vermieden werden können. Deshalb fordern die deutschen Mitglieder der Initiative Hörgesundheit schnellstmöglich die Finanzierung von Hörtests für Personen ab einem Alter von 50 Jahren durch die deutschen Krankenkassen ein.
Nur ein Drittel der Deutschen mit einem unbehandelten Hörverlust sind sich ihres Versicherungsschutzes bewusst
In Deutschland erhält jedes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse mit einem durch einen HNO-Arzt ausgestellten Rezept einen Zuschuss zu Hörgeräten. Trotzdem ist es unter Hörgerätenutzern immer noch nicht allgemein bekannt, dass die Krankenkasse sogar die Gesamtkosten der Hörsysteme übernehmen kann. Nur 35 % der Hörgeräteträger gaben an, sich darüber im Klaren zu sein, während 48 % davon angeblich nichts wussten. Die restlichen 17 % waren der Überzeugung, dass ihre Hörgeräte noch nicht einmal zum Teil von ihrer Krankenkasse finanziert werden konnten. Dieses Wissensdefizit in der Öffentlichkeit zeigt, dass ein erhebliches Potenzial zur Verbesserung des Versicherungsschutzes besteht. Deshalb engagiert sich die Initiative Hörgesundheit für und schlägt gemeinsame Aufklärungskampagnen aller Teilhaber der Initiative vor.
Auf die Frage nach zehn häufig genannten Gründen, weshalb keine Hörgeräte angeschafft worden sind, antworteten 68 % der Betroffenen (2), die durch ihren Hörverlust schwer beeinträchtigt waren, dass sie sich ihre Hörgeräte „nicht leisten konnten“. Ganze 60 % antworteten, dass sie „wichtigere Probleme“ hätten. Diese Antworten deuten auf zwei Dinge hin: Zum einen sind die meisten Personen mit einem beeinträchtigten Gehör sich nicht darüber im Klaren, dass ihre Hörgeräte ganz oder teilweise durch die gesetzliche Krankenkasse finanziert werden können, zum anderen sind viele, deren Schwerhörigkeit unbehandelt ist sich (noch) nicht darüber bewusst, welche Folgen ein unbehandelter Hörverlust haben kann.
Genau diese Menschen müssen durch qualifizierte Konsultationen durch HNO-Ärzte und Hörakustiker aufgeklärt und durch allgemeine Informationskampagnen erreicht werden.
Das öffentliche Bewusstsein bezüglich der Gesundheitsrisiken muss gefördert werden
Ganze 34 % der Befragten verbinden Schwerhörigkeit mit Depressionen. Darüber hinaus vermuten 26 % eine Verbindung zwischen unbehandeltem Hörverlust und Schlafstörungen, während 21 % davon überzeugt sind, dass ein unbehandelter Hörverlust mit einem erhöhten Blutdruck zusammenhängt. Ganze 43 % jedoch sind davon überzeugt, dass Schwerhörigkeit nicht mit den in der Umfrage genannten gesundheitlichen Problemen zusammenhängt. Auch hier muss laut der Initiative Hörgesundheit dringend eine gesteigerte Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber den mit Schwerhörigkeit verbundenen Gesundheitsrisiken erreicht werden.
Rund 83 % der Hörgerätenutzer vermuten, dass ihre Erwartungen erfüllt und sogar übertroffen wurden
Welche Situationen sind besonders wichtig für Personen, die mit einem Hörverlust leben? Wo und wann ist ihr Gehör für sie unentbehrlich? Die meisten Schwerhörigen nennen hier die Situationen, in denen sie direkt mit anderen kommunizieren: Ganze 49 % der Befragten beantworten diese Frage mit „zu Hause mit der Familie”, während für 47 % der Befragten das „gemeinsame Fernsehen” und für 45 % „Telefongespräche” wichtig sind.
Die meisten Hörgeräteträger sagen, dass Hörgeräte generell ihre soziale Teilhabe verbessern. 65 % sagen, dass sich ihre Fähigkeit, in verschiedenen Situationen effektiv zu kommunizieren, verbessert hat. 59 % berichten von einem höheren Sicherheitsgefühl und 58 % sagen, dass sich ihre Fähigkeit zur Teilnahme an Gruppenaktivitäten verbessert hat. 53 % berichten von einer Verbesserung ihres sozialen Lebens, 71 % fühlen sich in der Stadt sicherer und 66 % berichten von einer erhöhten Sicherheit beim Autofahren oder beim Fahren eines E-Bikes oder Fahrrads.
Im Allgemeinen bestätigt EuroTrak 2022 Deutschland, dass Hörgeräte die Erwartungen ihrer Nutzer erfüllen oder sogar übertreffen. Dies bestätigen 83 % der Befragten. Wie erwartet sind 89 % der Hörgerätenutzer in Deutschland auch mit der Professionalität ihres Hörgeräteakustikers zufrieden.
59 % aller Hörgerätenutzer sind der Überzeugung, dass sie ihre Hörgeräte schon früher hätten anschaffen sollen
Wie schon zu Beginn dieses Artikels erwähnt wurde, bedauern rund 59 % aller Hörgerätenutzer, dass sie sich ihre Hörgeräte nicht schon viel früher angeschafft haben. Auf die Frage hin, was sie durch ihre späte Entscheidung glauben verpasst zu haben, nannten die meisten ein verbessertes soziales Leben (66 %), gesteigerte mentale Gesundheit (52 %) und eine bessere Performance am Arbeitsplatz (24 %).
Diese Resultate müssen im Rahmen der Konsultation an diejenigen, die immer noch mit einem unbehandelten Hörverlust leben und sich noch nicht für eine Hörgeräteanpassung entschieden haben, weitergegeben werden. Denn EuroTrak beweist zum wiederholten Male, dass ein großer Bedarf an der Aufklärung der Öffentlichkeit zu den Gesundheitsrisiken bei unbehandelter Schwerhörigkeit und zu den Vorteilen der Krankenversicherung besteht. Da über 11 % der deutschen Bevölkerung sich selbst als schwerhörig bezeichnen, ist die tatsächliche Zahl der Menschen, die Hörgeräte benötigen, wahrscheinlich noch höher. Dies liegt daran, dass nicht jeder dazu bereit ist, eine Hörminderung einzuräumen, weshalb die Dunkelziffer selbst in einer Online-Umfrage wie EuroTrak, relativ hoch ist.
Die komplette EuroTrak 2022 Deutschland-Umfrage finden Sie hier.
Eine ausführliche deutschsprachige Analyse der zentralen Ergebnisse ist vom BVHI in Zusammenarbeit mit der Initiative Hörgesundheit gebündelt worden und kann zusammen mit zusätzlichem Infomaterial hier eingesehen werden.
Für weitere Informationen zu dem gemeinsamen Aufruf aller deutschen Mitglieder der Initiative zu Hörtests ab dem Alter von 50 Jahren, klicken Sie hier.
Anmerkungen:
(1) European Network to Advance Best Practices and Technology on Medication Adherence: Mission Statement, in : Front. Pharmacol., 11 October 2021. https://doi.org/10.3389/fphar.2021.74870
(2) TOP 50% of hearing-impaired individuals without coverage, proportion of survey respondents classified as more hearing impaired based on factor analysis.